Können Sie derzeit nicht zu den Lesungen kommen, so kommen wir zu Ihnen nach Hause! Anstelle der ausgefallenen Buchmesse-Nachlese stellt der Verlag Matthes & Seitz Berlin in einer online-Lesung aktuelle Bücher aus seinem Verlagsprogramm vor. Viel Vergnügen beim Beinehochlegen, Coronavergessen, Zuhören…
Aus folgenden Büchern sind Ausschnitte zu hören:
Katrin Schumacher : Füchse
Zwischen Hühnerstallschreck und Halswärmer: vom Leben, Sterben und Weiterleben unseres liebsten Schlitzohrs – ein Porträt.
Der Fuchs, seit den antiken Fabeln Sinnbild des listigen und verschlagenen Zeitgenossen, hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Sympathieträger des Tierreichs gewandelt. Doch was hat dieser charmante Halunke an sich, dass sein flüchtiges Auftauchen im gleichen Zuge Anziehung und Verunsicherung auslöst, während wir ihm früher unerbittlich mit der Flinte nachjagten? Geschmeidig und klug macht sich Katrin Schumacher in ihrem persönlichen Tierportrait auf einen natur- und kulturgeschichtlichen Beutezug durch Hühnerställe, Kinderbücher und Pelzgerbereien, um schließlich der fernöstlichen Fuchsbesessenheit in Japan nachzuspüren, wo die kleinen Räuber die Menschen als Gottheiten und erotische Dämonen betören. Und auch in unseren Breiten können wir uns auf ein intensiveres Miteinander einstellen: Wohl wissend, dass ihm hierzulande nicht mehr fortwährend das Fell über die Ohren gezogen wird, verlässt der Fuchs seine versteckten, labyrinthischen Baue und macht sich auf in die Städte, um uns zwischen Mülltonnen und Parkgestrüpp selbst auf den Pelz zu rücken.
Pieter Waterdrinker : Tschaikowskistraße 40
Ein Schlüssel zur russischen und globalen Gegenwart
»Gott unser Vater, der Schöpfer, der seinen einzigen Sohn auf die Erde entsandt hat, um uns zu erretten, ist in großer Not.« So spricht ein Mann, der im Oktober 1988 plötzlich auf der Türschwelle des jungen Juristen Pieter Waterdrinker auftaucht und diesem sogleich ein höchst fragwürdiges Jobangebot unterbreitet: 7 000 Bibeln sollen ins sowjetische Leningrad geschmuggelt werden. Was sich anhört wie der Beginn eines absurden Spionageromans, ist in Wirklichkeit Auftakt zu einem abenteuerlichen Leben zwischen Ost und West. Waterdrinker nimmt den Auftrag an – und ist plötzlich mittendrin in der dubiosen Geschäftswelt der späten Sowjetunion. Nach deren Zusammenbruch und seiner persönlichen Pleite wird er in der Russischen Föderation Korrespondent der größten niederländischen Tageszeitung. Wie passend, ist doch die Tschaikowskistraße, wo Waterdrinker noch immer mit seiner Frau Julia und seinen Katzen wohnt, ein Epizentrum der russischen Geschichte. Dort lebten nicht nur der Wunderheiler Rasputin und die Geliebte des Zaren Nikolaus II., die Straße war auch einer der bedeutendsten Schauplätze der Oktoberrevolution. Mühelos verwebt Waterdrinker die Geschichte Russlands mit seiner eigenen, lässt Vergangenes und Gegenwärtiges ineinanderfließen, denn er weiß: Die Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich.
Eileen Myles : Chelsea Girls
Eileen Myles erzählt ungeschönt und unverblümt davon, wie es war – damals in New York – als alles möglich schien, als Warhol jedem 15 Minuten Berühmtheit versprach, als Allen Ginsberg noch zu deiner Buchpremiere kam, wenn du ihn einludst, als noch alle mit allen im Bett gelandet sind, und es immer irgendjemanden gab, der Alkohol oder Drogen dabei hatte. Doch nicht nur um wilde Eskapaden geht es, sondern auch um die katholische Erziehung in den Sechzigern, um das Aufwachsen mit einem alkoholkranken Vater, um zerbrochene Liebesbeziehungen, um Woodstock und um das Chelsea Hotel, um enttäuschte Hoffnungen, um das Schreiben an sich. Vor allem um das Schreiben über die eigene unmittelbare Umgebung, darüber, eine kraftvolle Stimme zu finden für eine damals als geradezu unerschrocken geltende lesbische Identität. Während sich jeden Tag die Frage stellte, wie man mit Gedichten allein überleben soll, schaffte es Eileen Myles nicht nur, eine neue literarische Form zu finden, sondern auch, sich selbst neu zu entwerfen, fernab von dem, was andere erwarteten.
Anne Weber : Annette, ein Heldinnenepos
Was für ein Leben! Geboren 1923 in der Bretagne, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, schon als Jugendliche Mitglied der kommunistischen Résistance, Retterin zweier jüdischer Jugendlicher — wofür sie von Yad Vashem später den Ehrentitel »Gerechte unter den Völkern« erhalten wird –, nach dem Krieg Neurophysiologin in Marseille, 1959 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wegen ihres Engagements auf Seiten der algerischen Unabhängigkeitsbewegung… und noch heute an Schulen ein lebendiges Beispiel für die Wichtigkeit des Ungehorsams. Anne Weber erzählt das unwahrscheinliche Leben der Anne Beaumanoir in einem brillanten biografischen Heldinnenepos. Die mit großer Sprachkraft geschilderten Szenen werfen viele Fragen auf: Was treibt jemanden in den Widerstand? Was opfert er dafür? Wie weit darf er gehen? Was kann er erreichen? Annette, ein Heldinnenepos erzählt von einer wahren Heldin, die uns etwas angeht.