Sylvia Townsend Warner

SYLVIA TOWNSEND WARNER   (1893 – 1978)

Britische Schriftstellerin, Musikwissenschaftlerin und literarische Feministin.
Sylvia Townsend Warner wurde 1893 in Harrow on the Hill geboren. Nach dem Tod des Vaters, einem Geschichtslehrer, zog die Mutter mit ihr nach London. Ein Musikstudium bei Arnold Schönberg in Wien verhinderte der Ausbruch des ersten Weltkrieges. Statt dessen verdiente sie ab 1917 wöchentlich drei britische Pfund als Mitherausgeberin der zehnbändigen Tudor Church Music, eine Reihe mit englischer Kirchenmusik der Tudor-Zeit, erschienen zwischen 1922 und 1929 bei Oxford University Press. Auf Veranlassung Stephen Tomlins, eines Schülers ihres Vaters, war sie 1922 nach Chaldon Herring/ Dorset gegangen, wo sie den Schriftsteller Theodore Powys traf, einen Bruder von John Cowper Powys, und gemeinsam mit Tomlin und David Garnett gab sie die Romane und Erzählungen von T. Powys heraus.
 Sylvia Townsend Warner begann eigene Gedichte zu schreiben und veröffentlichte ihre ersten Romane „Lolly Willowes, or, The Loving Huntsman“ (1926) und „Mr. Fortune’s Maggot“ (1927). Vor allem das zauberhafte Debüt „Lolly Willows“ hatte großen Erfolg. Das pikante Plädoyer für die Freiheit alleinstehender Frauen im England des beginnenden 20. Jahrhunderts ist herrlich schräg, witzig und aufmüpfig und ein Meilenstein nicht nur der feministischen Literatur. Worum geht es in diesem Roman? Laura Willowes ist achtundzwanzig, als ihr Vater stirbt und sie in die Obhut ihrer Brüder gerät. Sie gilt als alte Jungfer, da sie nie Lust verspürt hatte, einen ihrer langweiligen Bewerber zu heiraten. Im Haushalt der Brüder wird sie zu Lolly, zur unverheirateten Tante ihrer Nichten und Neffen. Nach zwanzig Jahren der Einschränkungen hat sie diese Rolle allerdings satt und beschließt, sich endlich von allem zu befreien. Sie zieht in den ihr unbekannten, aber auf merkwürdige Weise doch vertrauten Ort Great Mop in die Chiltern Hills. Hier genießt sie glücklich und ungehindert ihr neues Leben, umgeben von lebensklugen und emanzipierten Frauen. Die allerdings alle ein Geheimnis hüten, sie sind, wie sie bald entdeckt … sämtlich Hexen!  Dank eines Paktes mit dem charmanten Teufel, der hier natürlich nicht weit ist, wird Lolly wieder zu Laura Willowes und samt ihrer Katze endlich frei.
Bei T. Powys hatte Sylvia Townsend Warner die Dichterin Valentine Ackland kennengelernt. 1930 erwarb sie ein Cottage in Chaldon Herring, hier lebten beide als Paar zusammen. Gemeinsam veröffentlichten sie den Gedichtband „Whether a Dove or Seagull“ (1933). 1935 traten beide der Communist Party of Great Britain bei und publizierten in linken Zeitungen. Zweimal besuchten sie Spanien, berichteten vom Spanischen Bürgerkrieg und unterstützten das Rote Kreuz während des Bürgerkriegs. 1937 waren beide nach Dorset gezogen in ein Haus am Fluss in Frome Vauchurch. Hier schrieb Sylvia Townsend Warner den Hauptteil ihres Werkes, u.a. acht Bände mit Kurzgeschichten, sieben Romane und eine Biographie von T. H. White. Außerdem übersetzte Sylvia Townsend Warner „Contre Saint Beauve“ von Marcel Proust. Die Liebesbeziehung der beiden dauerte bis zu Acklands Tod 1969. Nach ihrem Tod gab Sylvia Townsend Warner eine Anthologie ihrer Gedichte unter dem Titel „The Nature of the Moment“ heraus. 1972 wurde sie als Ehrenmitglied in die American Academy of Arts and Letters gewählt. Sylvia Townsend Warner starb am 1. Mai 1978.

„Sie ist knapp hundert Jahre alt und so einzigartig lebendig, als wäre sie frisch erfunden: Lolly Willowes, die Heldin des Debüts der hier nahezu unbekannten Schriftstellerin Sylvia Townsend Warner. Als der Roman 1926 in England erschien, machte er schlagartig Furore, und seine Autorin wurde über Nacht berühmt. Sofort interessiert sich Virginia Woolf, die gerade an ihrem epochemachenden feministischen Essay ‚Ein Zimmer für sich allein‘ schreibt, für die neue Kollegin und den subversiven Stoff, in dem eine Frau sich zur Hexe macht. (…) Mit wunderbar boshaftem Witz durchleuchtet Warner eine saturierte Gesellschaft, in der nur Gattinnen zählen, unverheiratete Frauen zwar gerne in Dienst genommen, dafür aber bevormundet und rundum bemitleidet werden.“ (Deutschlandfunk Kultur, 24.10.2020)

Sylvia Townsend Warner: Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann. Roman, aus dem Englischen von Ann Anders und mit einem Nachwort von Manuela Reichart. Originaltitel: Lolly Willowes; or The Loving Huntsman. 272 Seiten. Dörlemann Verlag 2019

Gespräch und Lesung mit der Literaturkritikerin und Moderatorin Manuela Reichart, die das Nachwort zu Sylvia Townsend Warners Roman „Lolly Willowes“ schrieb :

Saul Tschernichowski 

SAUL TSCHERNICHOWSKI    (1875 – 1943) 

Saul Tschernichowski wurde 1875 im Dorf Michajlovka im Gouvernement Taurien geboren, wuchs mit dem Russischen, Ukrainischen und Jiddischen auf und lernte früh Hebräisch. In den 1890er Jahren gehörte er zu einem kleinen Kreis Odessiter Hebraisten. Von 1899 bis 1906 studierte er Medizin in Heidelberg und Lausanne und lebte von 1922 bis 1932 nahezu unbemerkt in Fichtengrund (nördlich von Berlin), während er in allen Teilen der hebräischen Welt als nationaler Dichter gefeiert wurde. Erst 1932 gelang dem Kinderarzt und Dichter die Emigration nach Eretz Israel, wo er bis zu seinem Tod 1943 unter dem Eindruck der europäischen Ereignisse sein Spätwerk verfasste.
Mit Saul Tschernichowski wurde die hebräische Literatur auf einen Schlag zu einer europäischen Literatur. Nicht allein deshalb, weil er mehr europäische Metren und Genres in die hebräische Lyrik einführte als jeder andere Dichter. Seine Lyrik war europäisch, weil das Hebräische schon immer zur europäischen Kultur gehörte. Tschernichowski übersetzte Homer, Horaz, Molière, Shakespeare und Goethe aus dem Original. Aus dieser Erfahrung schuf er, was seinem Jugendfreund Joseph Klauser (Onkel des Romanciers Amos Oz) als Lebensmotto galt – einen „hebräischen Humanismus“. Die 2019 in der edition rugerup erschienene dreibändige Ausgabe „Dein Glanz nahm mir die Worte“ entstand als mehrjähriges Forschungsprojekt an der Hebräischen Universität und am University College London. Die drei Bände wurden übersetzt und herausgegeben von Jörg Schulte, sie enthalten u.a. mehrere Essays zu Dichter und Übersetzung. Eine  kommentierte Werkausgabe des komplexesten Werkes der „hebräischen Renaissance“ steht im Hebräischen noch aus.

„Saul Tschernichowski war ein außergewöhnlicher Dichter und Übersetzer, der die hebräische Literatur der Moderne öffnete. Geboren 1875 in Russland kam Saul Tschernichowski früh in seinem Elternhaus mit der Haskala, der ‚Jüdischen Aufklärung‘, in Berührung. Die hebräische Dichtung, die bis zur Haskala im Wesentlichen für den liturgischen Gebrauch bestimmt war, erfuhr durch Tschernichowski entscheidende Impulse. Er hob schlicht und einfach ihre strengen formalen und inhaltlichen Kriterien auf, indem er sich der Welt-Literatur zuwandte. Saul Tschernichowski übersetzte Sophokles, Homer, Shakespeare, Molière, Shelley, Goethe, Heine und Puschkin, die ihm eine Welt eröffneten, die fortan seine eigene Dichtung nachhaltig prägte. Das vorliegende Werk in drei Bänden ‚Dein Glanz nahm mir die Worte‘ umfasst Sonette, Gedichte, Idyllen und Autobiographisches, wobei Band 3 einen umfassenden Kommentar zu seinem Werk liefert, der nicht nur für ausgewiesene Germanisten interessant sein dürfte.“ (Matthias Ehlers, WDR1)

Foto: Š. Bajeris/ Kaunas 

Lesung und Gespräch mit der Verlegerin von Saul Tschernichowski, Margitt Lehbert / Edition Rugerup :

 

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