AKTUELL 4. Mai | 19 Uhr : Gunvor Hofmo „Du bist mein Schatten“ – vorgestllt von Tone Avenstroup und Stefan Döring

Gunvor Hofmo, Foto: Af Gyldendal Norsk Forlag Nasjonalbiblioteket

Gunvor Hofmo (1921-1995) „Du bist mein Schatten“, Gedichte, aus dem Norwegischen von Klaus Anders, Tone Avenstroup und Stefan Döring – vorgestellt von Tone Avenstroup und Stefan Döring (Edition Rugerup, BUCHPREMIERE)

Die „Sängerin der Finsternis“ hat man Gunvor Hofmo genannt, im Mittelpunkt ihrer Poesie stehen mit beispielloser Konsequenz Leid, Trauer und Heimatlosigkeit des Menschen in einer schmerzvollen Existenz … Es sind Schrecken und Tod während des Zweiten Weltkriegs, aus denen Hofmos Gedichte mit ihrer Klage und ihrem Fluch hervorgehen: „Gott, wenn du noch siehst:/ Es gibt kein alltägliches Leben mehr,/ Es gibt nur stumme Schreie,/ Es gibt nur schwarze Leichen,/ die in roten Bäumen hängen…“.

Gunvor Hofmos Werk wird mit dem von Henrik Wergeland, Edvard Munch oder Kristofer Uppdal verglichen. Unter den weiblichen Dichtern muss man schon ins Ausland gehen, um jemanden Vergleichbares zu finden. „Man sollte sie in eine Reihe mit Edith Södergran und Emily Dickinson stellen“, meint der norwegische Lyriker und Übersetzer Kollege Olav H. Hauge. Ihre Lyrik, deren Wurzeln im Weltbrand und in der Judenvernichtung liegen, mag vor allem eine Gemeinsamkeit mit den deutschsprachigen Dichtern Nelly Sachs und Paul Celan haben.

Gunvor Hofmo, geboren 1921 im Osten von Kristiania, heute Oslo, wuchs in einer Arbeiterfamilie im Osten Oslos auf – unter Sozialisten, Kommunisten, Anti-Nazis und Widerstandskämpfern. Wegen ihres Aufbegehrens gegen die deutschen Besatzer verhaftete man viele ihrer Verwandten, eine Tante und ein Onkel wurden im Konzentrationslager ermordet. 
Im Herbst 1940 lernte Gunvor Hofmo die aus dem aus dem Wiener Großbürgertum stammende jüdische Künstlerin und Intellektuelle Ruth Maier (1920-42) kennen. Zwei Jahre lang kämpften beiden Frauen gemeinsam, reisten durch Norwegen und nahmen Gelegenheitsarbeiten an, bis Ruth Maier am 26. November 1942 nach Auschwitz deportiert und umgebracht wurde. „Ich sah meine Freundin, / die einzige, ich sah sie / in den Tod gehen, / und seitdem trauern die Bäume, / und seitdem hat der Tod meinen Körper und meine Seele und meine Stimme / in das Meer der Verzweiflung gezogen“. Dieses traumatische Ereignis begleitete Gunvor Hofmo ein Leben lang und beeinflusste ihre Lyrik. Gunvor Hofmo schloss 1945 eine Privatschule ab, lebte von 1947 bis 1950 in Paris und in der Bretagne, später in Kopenhagen, Stockholm, Amsterdam und London. Nach einem psychischen Zusammenbruch 1953 und der Diagnose Schizophrenie war sie, mit einigen Unterbrechungen, 22 Jahre lang stationär untergebracht. Dieser Zusammenbruch war offenbar auch eine Folge des großen Verlustes, den sie erlitten hatte.
Ihr dichterisches Werk lässt sich in zwei Phasen einteilen: In der ersten Phase (1946-55 ) veröffentlichte sie fünf Sammlungen, in der zweiten (1971-94)  fünfzehn Sammlungen. Nach ihrem Tod fand man zahlreiche weitere Texte, sowohl Lyrik als auch Prosa.
1946 hatte Gunvor Hofmo mit dem Band  „Jeg vil hjem til menneskene“ (Ich möchte nach Hause zu den Menschen) debütiert. Das ist ihr „Schrei nach Wirklichkeit“, sagt der Biograph Jan Erik Vold über die Außenseiterin. Ihre Lyrik ist untypisch für das Norwegische. Im zweiten Buch, „Fra en annen virkelighet“ (Aus einer anderen Wirklichkeit) verwies sie auf ihr poetisches Schicksal: „Wir, die wir der Dunkelheit, der Stille und Gott gewidmet sind“. Die fünfte Sammlung, „Testamente til en evighet“ (Testament für die Ewigkeit), empfand man als Abkehr von der Poesie. Nach 16 Jahren des Schweigens veröffentlichte Hofmo 1971 die Sammlung „Gjest på jorden“ (Gast auf der Erde), die ihr den norwegischen Kritikerpreis einbrachte.
Gunvor Hofmo führte zeitlebens ein mehr oder weniger anonymes Leben. Die Verlagsfotos, die bis ins hohe Alter bei Buchveröffentlichungen verwendet wurden, stammten aus ihrem Debütjahr. Sie ließ sich nicht interviewen, las nie vor. Nachdem sie erkrankt war, schwieg sie in sämtlichen Debatten. Erst nach ihrem Tod versuchte man sich ihre Biografie zu erschliessen.
Gunvor Hofmo hinterliess Lyrik und Prosa. Ihre Artikel über Literatur und ihre Kurzgeschichten, Skizzen und Tagebucheinträge sind frisch und lebendig und zeugen von einer großen Reflexions- und Beobachtungsgabe. Sie wurden erst posthum in einem Buch zusammengefasst. Hofmo wurde zu ihren Lebzeiten auch kaum übersetzt. Es gibt eine schwedische Buchausgabe, „Verkligheten själv“ (Die Wirklichkeit selbst, 1981), und eine englische Auswahl von Gedichten, „Twenty-three Poems“ (1976).

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Tone Avenstroup, Foto: Stephanie Fischer

TONE AVENSTROUP wurde 1963 in Oslo geboren und lebt seit 1990 in Berlin, wo sie als Regisseurin, Performerin und Übersetzerin tätig ist. Sie studierte Theater- und Literaturwissenschaft an der Universität in Bergen und an der Humboldt-Universität in Ostberlin, war Mitbegründerin des Theater- und Performancekollektivs BAKTRUPPEN und mehrere Jahre lang Redaktionsmitglied der Zeitschrift GEGNER (BasisDruck Verlag). Als Produzentin zahlreicher intermedialer Formate arbeitete sie mit Musikern und bildenden Künstlern zusammen. Ihre norwegisch-deutsche Lyrik erscheint im Verlag Peter Engstler, zuletzt der Band »november im schlaf« (2019). Mit Bert Papenfuß übersetzte sie Gedichtbände von Terje Dragseth und Øyvind Rimbereid aus dem Norwegischen.

STEFAN DÖRING, geboren 1954 in Oranienburg, ist Schriftsteller, Lyriker und Übersetzer. Er studierte 1974–78 Informationstechnik an der TU Dresden. arbeitete er als Entwicklungsingenieur für medizinische Elektronik und ist seit 1980 freischaffender Autor und Übersetzer. Nach 1990 war er mit Bert Papenfuß-Gorek u. a. Mitherausgeber und Autor der Berliner Zeitschrift SKLAVEN und Redakteur der Zeitschrift GEGNER (BasisDruck Verlag). Er gilt als einer der originellsten Vertreter der DDR-Untergrundliteratur der 1980er Jahre. Stefan Döring übersetzt zudem aus dem Amerikanischen, Englischen und Russischen.  Er lebt in Berlin.

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