„Prosa ist Schwerstarbeit, Dichtung nicht, Dichtung ist Singen.“ – das hatte Les Murray während einer Lesereise durch Deutschland gesagt. Les Murray (1938-2019) gilt als der führende australische Dichter seiner Generation. In der englischsprachigen Welt wird er nicht nur seit Jahrzehnten als der wichtigste Dichter Australiens betrachtet, sondern auf eine Stufe gestellt mit Derek Walcott, Joseph Brodsky, Seamus Heaney. Ausgezeichnet wurde Les Murray unter anderem mit dem Petrarca Preis (1995), dem T.S. Eliot Prize (1996) und der Queen’s Gold Medal for Poetry (1998). Brodsky schreibt, er sei ”ganz einfach der Mann, in dem die Sprache lebt.” Und Walcott formuliert seine Bewunderung so: ”Es gibt keine Poesie in der englischen Sprache, die so verwurzelt ist in ihrer Heiligkeit, so breitblättrig in ihren Freuden und doch so intim und umgangssprachlich.”
Les Murray wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf der Farm seiner Großeltern in Bunyah, New South Wales, auf, wohin er 1985 mit seiner eigenen Familie zurückkehrte. Murray, der oft als Australiens „Buschbarde“ bezeichnet wird, veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände. Wiederkehrende Themen in Murrays Werk sind die Geschichte und Landschaft Australiens, weiße Siedler, das Leben der Ureinwohner, die Familie und die ländliche Umgebung. Er fühlte sich den traditionellen Liedformen der Aborigines verbunden. Seine Werke sind voller Bilder der australischen Landschaft, aber der Schlüssel zu Murray ist nicht die Landschaft, sondern die Wut. „Wie natürlich die zufällige Aufnahme in die Verachtung übergeht“, schreibt Murray und benennt die Pole für sein brennbares Temperament.
Zu seinen Hauptwerken gehört das Versepos „Fredy Neptune“, gespickt mit Anspielungen und australischen Slangausdrücken. Das Epos wurde nach der Veröffentlichung der zweisprachigen kommentierten Ausgabe begeistert begrüßt als „das kühnste Gedicht des 20. Jahrhunderts“. Das Buch beeindruckte im Ausland, vor allem im deutschsprachigen Raum, sogar mehr als in Australien. Europäische Kritiker verglichen es oft mit „Omeros“ von Derek Walcott.
Margitt Lehbert, Verlegerin der Edition Rugerup, Übersetzerin und Entdeckerin von Les Murray für den deutschsprachigen Raum, stellt den Nobelpreisanwärter Les Murray (er stand 15 Jahre auf der Kurzliste für den Nobelpreis) in Lesung und Gespräch vor.
„Mit diesem Epos hat Les Murray die Weltliteratur ohne Zweifel um ein […] nobelpreiswürdiges Werk bereichert“ (Jürgen Brôcan zu Les Murrays „Fredy Neptune“, NZZ).
„Der bedeutendste australischen Lyriker seiner Zeit.“ (FAZ 2019)
„… ein Versepos, das sich „Fredy Neptune“ nennt, nach dem Namen des Protagonisten. Dabei handelt es sich (wie bei der Odyssee auch) um eine Reise, nicht nur über verschiedene Meere, um an verschiedene Küsten zu gelangen, sondern auch um eine Reise durch das Zeitalter der Extreme. Das ist bei Murray das 20. Jahrhundert. Und in diesem „Fredy Neptune“, in diesem Versepos, da kommt sein Protagonist eben in das Deutschland des Nationalsozialismus, in das kommunistische Russland und auch nach Amerika. Und er erlebt dort, immer auf verschiedene Weise, seine Kulturschocks.“ (Michael Braun, Deutschlandfunk 2019)
LESLIE ALLAN MURRAY wird am 17. Oktober 1938 auf einer Milchfarm in Nabaic, im Bunyah, New South Wales, Australien geboren. Bunyah ist weniger ein Dorf als ein Tal mit ein paar verstreuten Farmen und liegt etwa 250 Kilometer nördlich von Sydney in suptropischer Region. Es wurde 1870 von Murrays schottischen Vorfahren besiedelt. Als junger Mann verläßt Les Murray 1957 seine Heimat, um in Sydney zu studieren (Sprachen, u.a. Deutsch). Aufgewachsen in Gemeindestrukturen, die dem 19. Jahrhundert entstammen, erfährt das großstädtische Leben Sydneys als einen Kulturschock, der bis heute eine wichtige Rolle in seiner Poesie spielt. Nach seinem Abschluß arbeitet er einige Jahre lang als Übersetzer westeuropäischer Sprachen an der Australian National University Canberra (1963-67), reist ausgiebig und zieht dann mit seiner Frau Valerie, mit der er seit 1962 verheiratet ist, und seinen fünf Kindern wieder nach Sydney. Ab 1974 lebt Murray, der sich gern als „Headfarmer“ bezeichnet, dort als freier Schriftsteller. Von 1973 bis 1979 ist Murray Herausgeber der Zeitschrift Poetry Australia und von 1976 bis 1991 Lyriklektor im Verlag Angus & Robertson. 1986 kehrt er mit seiner Frau und seinen beiden jüngsten Kindern endgültig nach Bunyah zurück, das er seit 1975 in Teilen zurückkaufen konnte. 1996 erleidet er eine Leber-Infektion, die ihn fast das Leben kostet. Les Murray hat über 30 Bücher veröffentlicht, ist Herausgeber verschiedener Anthologien, darunter The Oxford Book of Australian Verse, Verfasser zahlreicher Essays und Buchkritiken und Literaturredakteur der Zeitschrift Quadrant. Seit Jahrzehnten gilt er als der wichtigste Dichter Australiens. Gedichtsammlungen von Les Murray sind in Deutsch, Schwedisch, Dänisch, Norwegisch, Italienisch und Spanisch erschienen. (Quelle: https://www.lyrikline.org/de/autoren/les-murray)