Der Vater arbeitet im britischen Geheimdienst, der Sohn geht den Geheimnissen der Sprache und des Lebens nach. Immer wieder verschwand sein Vater, ohne Ankündigung und auf unbestimmte Zeit. Kehrte er wieder, erzählte er nichts. Einmal, er war für drei Wochen im Dschungel Malaysias gewesen, konnte er dem Kind nicht in die Augen schauen. An solchen Zeichen nur entzündeten sich Ahnungen. Es sind Nachkriegszeiten, und es ist Kriegszeit, die Zeit der Malaya Emergency; und die Arbeit in geheimer Mission schafft schwierige Bedingungen für Frau und Kind.
Was bedeuten solche Ungewißheiten, Lücken für Versuche der Rekonstruktion? Wie denkt man in der Folge über Abwesenheit/Anwesenheit (tot/lebendig) nach? Und wie schlägt sich das in der literarischen Form nieder? Wo ist die Welt? Was ist die Welt?
Das Kind entwickelt Antennen für Verborgenes – sie sind es auch, die das Erzählen leiten: Bei frühesten Eindrücken setzt der Erzähler an, bei Beobachtungen des vier-, fünfjährigen Kindes, die noch nicht von Kategorien überformt sind. Ihnen spürt er nach, sie setzt er in Verbindung zu später Gehörtem, Gesehenem, Gelesenem, sie übersetzt er. Geleitet von den Begriffen Traum und Verwandlung läßt er Leben und Tod ineinandergleiten, Annäherung und Verrat, Sprache und Aufdeckung, Geheimnis und Klang. Dabei entsteht fast eine Biographie, der Grundriß der eigenen Poetik und eine aus alten Festlegungen befreite Ordnung der Welt.
Der Roman „Die Auswandernden“ erschien 2016 bei „starfruit publications“, begleitet von zahlreichen Farbzeichnungen der Künstlerin Nanne Meyer.
Mehrere Jahre hat Waterhouse an diesem neuen Roman gearbeitet, und wie die Zeitumstände es wollen, sind »Die Auswandernden« nicht nur ein großes Sprachkunstwerk, sondern auch von hoher aktueller Relevanz. Das Buch erzählt von der aus einem kaukasischen Dorf nach Österreich geflüchteten Media, von ihrem Ringen mit der fremden Sprache, den Abgründen eines Asylverfahrens, von absurd anmutenden Einvernahmen, Protokollen und Bescheiden, kafkaesken Ämtern und Gerichten.
Gleichzeitig ist »Die Auswandernden« aber auch ein Liebesroman. Ein Roman über die Liebe des Autors zu Menschen am Rande der Gesellschaft, und ein Roman über seine Liebe zur Sprache, zu Wörtern und Wortklängen, zu Sinnschärfung und Sinnerweiterung. Mehr denn je offenbart sich Waterhouse als radikaler Spracharbeiter, als leidenschaftlicher Erforscher ihrer Bruchstellen und Schwellen, ihrer Entwicklungslinien und Bedeutungsverzweigungen.
Darüber hinaus ist dieses Buch das Dokument einer kongenialen Kooperation. Peter Waterhouse und die Zeichnerin Nanne Meyer haben sich jeweils intensiv mit der Arbeit des anderen befasst. Die Künstlerin antwortet auf den Text – ihre Linienlandschaften, Farbwirbel und Strichwolken schreiben ihn vielstimmig weiter.
So finden Text und Bilder in »Die Auswandernden« auf eindringliche Weise zueinander und schärfen die Sinne für die Wahrnehmung unserer Welt – einer ebenso kostbaren wie verletzlichen Welt.
„In seinem Buch „Die Auswandernden“ wirft der österreichische Schriftsteller Peter Waterhouse einen ungewohnten und erkenntnisreichen Blick auf unsere Kultur und unsere Sprache. Das Fremde erscheint dabei als Bereicherung, das auch die Grenzen der eigenen Sprache deutlich macht.“ (DLF)
PETER WATERHOUSE geboren 1956 in Berlin, mehrjähriger Aufenthalt der Familie in Malaysia, nach dem Abitur 1975 Übersiedlung nach Wien, Studium Anglistik und Germanistik. Seit 1979 freiberuflicher Übersetzer, Autor und Herausgeber. 1981/82 Teaching Assistent an der University of Southern California in Los Angeles, Rückkehr nach Wien, 1984 Promotion (zu Paul Celan), 1988/89 Arbeitsaufenthalt in Rom. Sein Werk entzieht sich in weiten Teilen der Einordnung in literarische Gattungen. So veröffentlichte er neben Gedichten und Essays z.B. auch Gedichtromane. Peter Waterhouse lebt in Wien.
NANNE MEYER geboren 1953 in Hamburg. 1974-81 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg. 194-2016 Professorin an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Zahlreiche nationale und internationale Ausstellungen, zuletzt ‘von wegen‘ im Max Liebermann Haus Berlin (2018) und ‚Gute Gründe‘ im Kunstmuseum Bonn (27.06. – 06.10.2019). Lebt in Berlin.