AKTUELL 9. November | 19 Uhr   :   Christian Lehnert „Opus 8“ und „Das Haus und das Lamm“

Christian Lehnert, der Mitte der 90er Jahre an der Hebräischen Universität in Jerusalem studierte, schrieb angeregt durch den Besuch heiliger Stätten des Judentums und des Islams lyrische Zyklen, in denen er Motive der menschlichen Schöpfungsgeschichte und der Geburt des Menschen aufgreift. Seine Texte „haben die Innigkeit und visionäre Kraft von Gebeten“, schreibt der Literaturkritiker Michael Braun. Lehnert bezieht sich in seiner Poesie ebenso auf den schlesischen Barockdichter Angelus Silesius wie auf Meister Eckhart mit seiner »unio mystica«. Michael Braun nennt Christian Lehnert deshalb auch einen „Nachfahre der Mystik“. Dionysische Dichter wie Gottfried Benn werden, so Braun, meist des Irrationalismus verdächtigt und einer Flucht vor den Zeichensystemen einer medial beschleunigten Gegenwart. „Vielleicht ist es aber gerade dieser hartnäckig retroverse Blick, diese Suche nach visionärer Innenschau, was die suggestiven Vorzeit-Bilder in den Gedichten Christian Lehnerts so faszinierend macht.“ In der Begründung der Jury zum Hölty-Preis 2012 heißt es: „Christian Lehnert ist ein besonderer Solitär unter den zeitgenössischen deutschsprachigen Dichtern, denn seine Gedichte strahlen selten gewordene Würde und Schönheit aus. Beharrlich erkundet Christian Lehnert, worin der Ursprung des Seins liegt. … Er wagt abseits von jeglichem zweckorientierten Denken den Gang hinab in eine ursprüngliche ‚Leere ohne Namen‘ und erweitert … das große Erbe der dichterischen und philosophischen Tradition.“

Christian Lehnert stellt seine beiden jüngsten Werke, den Gedichtband „opus 8. Im Flechtwerk“ (2022) und „Das Haus und das Lamm. Fliegende Blätter zur Apokalypse des Johannes“ (2023) vor.
In „opus 8. Im Flechtwerk“ bilden siebenmal sieben Gedichtpaare das äußere formale Flechtwerk des Gedichtbandes, eine verwobene Kunst der Fuge. Lehnerts Gedichte erkunden die Natur, sie spüren dem Geistigen in der Natur nach, erfahren Offenbarungen in Pflanzen, Tieren, Tageszeiten oder im Spiel der Wellen.
„Das Haus und das Lamm“ ist erkundende, fragende Prosa im Grenzgebiet zwischen Erzählung, Essay und poetischer Bildlichkeit. In einer Lebenskrise zieht sich der Erzähler in ein altes, halbzerfallenes Gehöft im Osterzgebirge zurück. Es wird ihm zum Ausgangspunkt für Gänge in eine Natur, die ebenso menschengemacht wie versehrt ist und ihm doch in kleinen Details wie eine Wildnis gegenübertritt. Zur begleitenden Lektüre wird ihm die „Apokalypse des Johannes“, ein Grundtext der europäischen Kultur, der alle Beheimatung in der Welt ausschließt und religiöse Endzeiterwartungen genauso prägte wie die geschichtsphilosophischen Utopien der vergangenen Jahrhunderte mit ihren gefährlichen Denkfiguren der Zerstörung des Alten zugunsten des Neuen.

Lehnerts »Verse fallen – gemessen an den Krisennarrativen in der aktuellen Lyrik – anmutig aus der Zeit und ringen um eine verborgene Wahrheit, zu der es letztlich nur einen Schlüssel gibt: Poesie.« (Frankfurter Rundschau)

»Lehnerts Frömmigkeit ist seine dichterische Ausdruckskraft. Seine Gedichte sind Choräle, die das Leben in all seinen Erscheinungsformen feiern. Trotz der strengen Form wirken sie schlicht und einfach und sind gerade dadurch schön.« (Süddeutsche Zeitung)

»Mit äußerster Präzision führen uns diese Gedichte nahe heran an Tiere, Pflanzen, Bäume. Was wir wahrnehmen, steht als gleichnishaftes Zeichen für einen größeren Zusammenhang, in den auch wir als Menschen eingebunden sind. Wir bleiben nicht distanzierte Beobachter, sondern gelangen ins Mittendrin des Bewegens und der Verwandlungen.« (Dresdner Neueste Nachrichten)

 

Foto: Jürgen Bauer

CHRISTIAN LEHNERT, geboren 1969 in Dresden, Studium der Religionswissenschaft, Evangelischen Theologie und Orientalistik, einen Teil seines Studiums absolvierte er an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Er war freischaffender Schriftsteller in Santiago de Compostela in Spanien, Pfarrer in Burkhardswalde-Weesenstein, Studienleiter für Theologie und Kultur an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Liturgiewissenschaftlichen Instituts der VELKD an der Universität Leipzig. Für Hans Werner Henzes Konzertoper „Phaedra“, die 2007 an der Berliner Staatsoper Unter den Linden uraufgeführt wurde, schrieb er das Libretto. Seit mehr als 25 Jahren erscheinen im Suhrkamp Verlag Gedichtbücher und Prosabände, für die er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, u.a. dem Hölty-Preis 2021 und zuletzt mit dem Deutschen Preis für Nature Writing 2018. Christian Lehnert lebt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Dresden.
Veröffentlichungen u.a. „Der gefesselte Sänger“ (Gedichte 1997), „Der Augen Aufgang“ (Gedichte 2000), „Finisterre“ (Gedichte 2002), „Ich werde sehen, schweigen und hören“ (Gedichte 2004), „Auf Moränen“ (Gedichte 2008), „Aufkommender Atem“ (Gedichte 2011), „Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus“ (2013), „Windzüge“ (Gedichte 2015), „Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet“ (2017), „Cherubinischer Staub“ (Gedichte 2018), „Ins Innere hinaus. Von den Engeln und Mächten“ (2020), „opus 8. Im Flechtwerk“ (Gedichte 2022) „Das Haus und das Lamm. Fliegende Blätter zur Apokalypse des Johannes“ (2023)

 

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