Seit fast einem halben Jahrhundert strahlt das „Schreibheft“ zuverlässig wie ein Leuchtturm in die literarische Landschaft. Gegründet 1977 von Wilfried H. Bienek und Ulrich Homann wird die Zeitschrift seit 1982 von Norbert Wehr herausgegeben. Mit ihrer Entdeckungslust, Vielsprachigkeit und Experimentierfreudigkeit gilt sie als eine der wichtigsten deutschsprachigen Literaturzeitschriften, geehrt mit zahlreichen Preisen. Hier kann man nationale und internationale Autoren, literarische Gruppen und Sprachräume in speziell zusammengestellten Dossiers oder bis dato unbekannte Texte bekannter Autoren entdecken. Herausgeber Norbert Wehr wird im Gespräch mit der Literaturkritikerin Maren Jäger anlässlich der 100. Ausgabe seine Zeitschrift vorstellen.
Maren Jäger auf literaturkritik.de :
„Wenn ein neues Schreibheft im Briefkasten steckt, ist das zweimal jährlich ein willkommener Anlass, alles stehen- und liegenzulassen und sich in die Lektüre zu versenken, Stimmen zu hören, Szenen der internationalen Dichtung zu erkunden, die Norbert Wehr und seine Verbündeten in den vergangenen Monaten entdeckt oder wiederentdeckt haben… Immer vernimmt man im Schreibheft über die Jahrzehnte hinweg die geistigen Väter des Unternehmens, „die paradoxe Obsession, die störrische Beharrlichkeit und die Intransingenz gegenüber dem literarischen Mainstream“, die Wehr bei Born und Brinkmann gespürt hatte – oder auch bei Thomas Kling… So wurde das Schreibheft Mitte der achtziger Jahre – durch die Zusammenarbeit mit dem Amerikanisten Bernd Klähn – zu einem Katalysator der (verspäteten) Rezeption der amerikanischen Postmoderne in Deutschland, von Pynchon und Gaddis bis zu ihren Erben wie David Foster Wallace. Es zeigte seinen LeserInnen das durch den Krieg geprägte und zerfurchte Gesicht der Literatur Jugoslawiens – ob mit einem Schwerpunkt zu Danilo Kiš, einem Dossier über Bora Ćosić oder über „Die tragische Intensität Europas“ von Žarko Radaković und Peter Handke, das die Literatur Serbiens in den Blick rückte. Und mit Fug und Recht kann man behaupten, dass die deutschsprachige Lyrik des 20. und 21. Jahrhunderts ohne das Schreibheft im Ganzen etwas provinzieller wäre, hätten ihre AutorInnen (viele von ihnen emphatische Schreibheft-LeserInnen) nicht mancherlei Impulse und perspektivische Erweiterungen durch die Dossiers zur zeitgenössischen Poesie erfahren – etwa zur niederländischen, dänischen, belgischen, zur nordirischen oder v.a. zur englischen Lyrik.
Norbert Wehr ist das Schreibheft: Er ist (flankiert von einigen weiteren Entdeckern, die sich im einen oder anderen unbekannten Terrain auskennen) der Kopf der Expeditionen in die internationale zeitgenössische Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts; in seiner Hand liegt der Löwenanteil der Konzeption und Recherche, Redaktion und Organisation, des Vertriebs und der Vermittlung. Und er ist derjenige, der (gelegentlich unterstützt von Stiftungen und Sponsoren wie dem Deutschen Literaturfonds und der Kunststiftung NRW) das finanzielle Risiko trägt und die Finanzierung der Zeitschrift sicherstellen muss, die zweimal im Jahr mit einer Auflage von etwa 2.500 Exemplaren erscheint.“
„Ich lese eifrig in den Schreibheften, komme aus dem Staunen gar nicht heraus…“
(Friederike Mayröcker, in einem Brief an Norbert Wehr)
„Es gehört zur DNA gerade dieses Periodikums, in der Geschichte der modernen Literatur zurückzublättern, um eigensinnig an Vergessenes, Verdrängtes und Verkanntes zu erinnern. Die 100 Autoren und Autorinnen, die Frank Witzel (Jahrgang 1955, Autor des mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichneten Romans „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“) präsentiert, stehen – bis auf wenige Ausnahmen – in keinem Literaturlexikon und schon gar nicht bei Wikipedia, und doch hat man den Eindruck, dass sie für die Entwicklung der Literatur unverzichtbar sind.“
(Michael Krüger, Romancier, Lyriker und Verleger)
„Norbert Wehr stellt Neues und Vergessenes vor, blickt vor allem immer wieder über die Grenzen, ein Scout, der uns zeigt, wie anderswo gedacht und gedichtet wird … Der Reichtum ist erstaunlich, hier geschieht, was nicht genug gerühmt werden kann: Literatur, die kein deutscher Verlag übersetzen läßt, Entprovinzialisierung, Entgrenzung des Horizonts …“
(Die Zeit)
„Das Schreibheft ist ohne Zweifel seit Jahren ein ganz eigenartiger Spiegel des Betriebs: Es zeigt, was der Betrieb gern wäre, worauf er sich einigte, worauf er Wert legte … Es zeigt ihm, wie er sein müßte, damit er sich besseren Gewissens ins Gesicht sehen dürfte.“
(Westdeutscher Rundfunk)
Das Schreibheft ist das einzigartige A & O aller fortgeschrittenen (Welt-) Literatur- Kenner & -Liebhaber. Ein zweimal jährlich bestelltes weites Feld, auf dem man a) das kommende Gras wachsen hört und b) essayistisch geerntet wird.
(Frankfurter Rundschau)
„Das Schreibheft hat die ertragreichsten Expeditionen durch die Kontinente der europäischen und nordamerikanischen Gegenwartsliteratur unternommen. Es ist Pflichtlektüre für alle, die sich mit den avancierten Projekten der modernen Weltliteratur vertraut machen wollen.“
(Deutschlandfunk)