Der Dichter und Essayist Durs Grünbein wird an diesem Abend seine beiden neuesten Bücher vorstellen: „Aus der Traum (Kartei)“ und „Äquidistanz“..
„Aus der Traum (Kartei)“ – provokanter könnte ein Buchtitel kaum sein. Dieser Band besteht aus Aufsätzen, Reflexionen, Reden, Traumnotizen, Vorträgen, Sprechertexten und Gedichten. Ein Fundbuch ist entstanden, das sich auf jeder Seite gewinnbringend aufschlagen lässt. Durs Grünbein steuert durch Gegenwart und Geschichte, er verführt seine Leser in die turbulente Sturmzone jener Realität, die oft als Maß aller Dinge erscheint. Doch Vorsicht: »Ganz insgesamt wird das, was man die Realität nennt, überschätzt.«
Als Widerspruch zwischen Realität und Traum zeigten sich für ihn der Untergang des Staates DDR und die Metamorphosen der Gesellschaft bis heute. An den Gegensätzen von Freiheit und Solidarität vesus Hass und Spaltung, an Deutschland und Europa entwickelt der Autor seine Idee von einem Widerstand gegen die Realität. Grünbein meint damit jenen Widerstand, der Literatur innewohnt und der seinen Lesern hilft, eine Resistenz gegen den Fetisch kruder Realität aufzubauen. Denn wo lägen Traum und Wirklichkeit wirkungsvoller beisammen als in der Kunst? Im Buch wendet sich Grünbein deshalb ebenso Dichtern und Philosophen aus Antike bis Gegenwart zu (von Ovid über Pascal und Descartes bis Celan), deren Ästhetiken und Ideen für sein Denken prägend wurden.
Auch in seinem neuesten und zwölften Gedichtband „Äquidistanz“ verfolgt Durs Grünbein strikt seinen poe-nautischen Kurs durch das aufgewühlte Meer von Geschichte und Gegenwart. Seine Streifzüge durch Zeiten und Räume, in denen er nicht nur in Deutschland, sondern auch im Gegenpol Italien (wo er inzwischen ebenfalls wohnt) sich selbst begegnet, diese Streifzüge sind für ihn zugleich Ortsbestimmung und Spurensicherung. In seinen Versen verbindet Grünbein die genaue Betrachtung kleiner Dinge mit der feinen Ironie eines Beobachters, dem gerade das unter den großen Themen oft Verschüttete am Herzen liegt. Er zieht mit seinen Lesern durch Mörderreviere wie über Lichtungen, quert gesamtdeutsche Sandpfade, folgt betonierten Magistralen, taucht im Mittelmeer, streift zwischen Kiesgruben und Flakbunkern – stets entlang der Ost-West-Achse des unruhigen, wieder mit Kriegen konfrontierten Kontinents.
Dass bei solchen Eindrücken der europäische Gedanke als Realität und Utopie ins Spiel kommt, wird niemanden wundern, der Grünbein auf seinen Wegen gefolgt ist. »Für alle Fälle kann Dichtung auch das sein: ein Gerät zum Einfangen der Zukunft.«
„Liest man nun in seinem neuen Gedichtband ‚Äquidistanz‘, so scheint sein Schreiben von einer größeren Leichtigkeit bestimmt, etwas Skizzenhaftes zu haben, eine manchmal verzaubernde Beiläufigkeit. Es ist eine einfache, mitunter prosaische Sprache. Wenngleich die Themen durchaus ins Dunkel führen: Hinein ins ‚Mörderrevier‘ der ‚wiederbereinigten‘ Hauptstadt, ins Berlin mit seinen ‚Stummfilmmonstern‘ und zu den ‚Hochständen‘ der Vergangenheit, aus denen auf ‚menschliches Wild‘ gelauert wurde.“ (Ulrich Rüdenauer, SWR2)
DURS GRÜNBEIN geboren 1962 in Dresden, Dichter und Essayist. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs führten ihn Reisen durch Europa, nach Südostasien und in die Vereinigten Staaten. Er war Gast des German Department der New York University und der Villa Aurora in Los Angeles. Für sein Werk erhielt er eine Vielzahl von Preisen, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Friedrich-Nietzsche-Preis, den Friedrich-Hölderlin-Preis sowie den polnischen Zbigniew Herbert International Literary Award. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin und Rom.