Der Schauspieler, Regisseur und Bühnenautor (u.a. Berliner Ensemble, Volksbühne, internationale Theater, Film „Die Abenteuer des Werner Holt“) stellt seine Autobiografie im Gespräch mit dem Theaterwissenschaftler Thomas Irmer vor.
Als frisch gebackener Absolvent der Schauspielschule kommt Manfred Karge an das berühmte Berliner Ensemble, »Mitarbeiter für Regie und Dramaturgie« sowie die Klausel »mit Spielverpflichtung« stehen im Vertrag. Tatsächlich muss der Jungschauspieler bald wichtige Rollen übernehmen; es ist die Zeit des Mauerbaus, von heute auf morgen können im Westteil der Stadt wohnende Schauspieler nicht mehr zur Arbeit kommen. Ein kühner Vorstoß ans Regiepult gelingt ihm, als er mit Freund und Kollegen Matthias Langhoff ein Brechtstück »erfindet«. Nach dem rauschenden Premierenerfolg beichten sie der Weigel, dass das Stück »nicht so richtig von Brecht ist«. Was sagt die große Intendantin? »Ihr Lauser!« Glück gehabt! Die DEFA meldet sich, unvergessen sein Wolzow im »Werner Holt«.
Das Herz aber schlägt fürs Theater. Seine innovative Regiearbeit führt bald zu Konflikten mit der Kulturbürokratie; gewissermaßen der Anstoß zu einer Weltkarriere! Er verlässt die DDR, inszeniert in Hamburg, Bochum, Wien, Helsinki, Paris, Tokio – und steht drei Jahrzehnte später wieder auf der Bühne des Berliner Ensembles. – Karge erzählt in warmherzigen, klugen und pointierten Geschichten über das Theater und seine Arbeit mit Besson, Heiner Müller, Peymann, Tabori und anderen bekannten Regisseuren und Schauspielern. Darunter auch ein junge Elevin, auf die er trifft, als er das schottische Hochland durchwandert und am Herrenhaus der Swintons vorbeikommt. Er gewinnt sie für eine Inszenierung, lange bevor sie die weltberühmte Tilda Swinton wurde. Nicht der einzige glückliche Zufall in seinem Leben!
»Er ist ein Vielkönner und ein Zeitzeuge des großen Theaters. […]
Manfred ist einfach eine Ikone des Theaters, eines Theaters, das nicht wiederkehrt.« Carmen-Maja Antoni
MANFRED KARGE, geb. 1938 in Brandenburg/ Havel, Regisseur, Schauspieler und Autor.
Studium an der Staatl. Schauspielschule Berlin-Schöneweide; 1961 von Helene Weigel am Berliner Ensemble engagiert; 1963 Beginn der Regiearbeit mit Brecht-Texten (»Messingkauf« und »Der Brotladen«) zusammen mit Matthias Langhoff, mit dem Karge viele Jahre lang ein Regieduo bildete; 1968 Theatereklat um die gemeinsame Bearbeitung von Aischylos »Sieben gegen Theben«, die als Kritik am Einmarsch sowjetischer Panzer in Prag gedacht war; danach zusammen mit Langhoff Beendigung der Arbeit am Berliner Ensemble; 1969-78 an der von Benno Besson geleiteten Berliner Volksbühne, furioser Einstand als Karl Moor in Schillers »Räuber« (1969); Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit mit Heiner Müller, 1975 Uraufführung von »Die Schlacht/Traktor«; spielte u. a. den Hamlet und Othello; 1975 Kunstpreis der DDR (zusammen mit Langhoff); neben der Theaterarbeit Filmrollen bei DFF und DEFA, u. a. 1964 als Hitlerjunge Wolzow in »Die Abenteuer des Werner Holt« und 1971 als Hans Coppi in »KLK an PTX – Die Rote Kapelle«; 1976 im Kontext der Ausbürgerung von Wolf Biermann Ausreise in die BRD. Inszenierungen in Paris, Zürich, Wien, am Kölner Schauspielhaus und vor allem am Schauspielhaus Bochum, dort zusammen mit Langhoff Oberspielleiter sowie Autor der Stücke »Jacke wie Hose« (Uraufführung 1982); »Claire« (Musical 1985); »Die Eroberung des Südpols« (1986 auf drei Kontinenten nachgespielt und 1990 als Spielfilm in Edinburgh präsentiert), »Lieber Nimbsch« (1989); 1986-93 als Autor, Regisseur und Schauspieler hauptsächlich am Wiener Burgtheater, neben Dramen von Horváth und Brecht Uraufführung von Franz Fühmanns »Der Sturz des Engels« und Elfriede Jelineks »Totenauberg«; 1993-2005 Prof. am Regie-Institut der Berliner Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«; ab 2001 wieder verstärkt Arbeit als Schauspieler am Maxim-Gorki-Theater und am Berliner Ensemble unter den Regisseuren Peymann und Tabori. Seit 2017 frei arbeitender Regisseur und Bühnenautor. Veröffentlichungen: »Die Eroberung des Südpols. Sieben Stücke«, »Nach der Übung all der Jahre. Lieder, Gedichte, Geschichten« sowie zusammen mit Hermann Wündrich »Erstürmt die Höhen der Kultur. Umkämpftes DDR-Theater« sowie „Eigentlich immer Glück gehabt. Begegnungen und Begebenheiten“.
THOMAS IRMER, Theaterwissenschaftler, Dramaturg und Publizist. Bis 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Amerikanistik der Universität Leipzig, danach Chefredakteur von Theater der Zeit bis 2003, anschließend Dramaturg der spielzeit europa bei den Berliner Festspielen bis 2006. Seit 2015 Autor und Herausgeber bei Theater der Zeit, u.a. Castorf (2016) und Luk Perceval (2019). Seit der Januar-Ausgabe 2022 von Theater der Zeit ist er verantwortlicher Redakteur.